16. January 2015 Katja Kipping

"Wir brauchen eine Bewegung gegen die Prekarisierung, nicht gegen vermeintliche Islamisierung!"

Katja Kipping

Katja Kipping

Das Jahr 2015 wird große Herausforderungen an uns stellen: In Europa wird jede Chance auf Entwicklung kaputt gespart. Militarisierung und Rechtspopulismus haben Aufwind. Die Gewaltspirale dreht sich weiter. Nicht nur in Frankreich steht man unter dem Eindruck schrecklicher terroristischer Anschläge. In Deutschland nimmt Großmachtsdenken wieder zu und die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander.

Und in Dresden versammeln sich wöchentlich Tausende, um gegen Migrant*innen zu demonstrieren. Diese Demonstrationen sind Ausdruck eines Kulturkampfes von rechts. Der Menschlichkeit, dem Gedanken der Gleichheit aller – ganz unabhängig von Herkunft und von Geschlecht – wird durch Pegida, AFD und Co. der Kampf angesagt. Pegida kommt daher mit der Haltung, das muss man ja mal sagen dürfen. Als ob so viel Mut dazu gehören würde, rassistische Vorurteile zu bedienen! Und als ob die brutale Abschottung Europas nicht längst die Politik einer ganz großen Koalition wäre!

Der Hass, den Pegida verbreitet, trifft letztlich Flüchtlinge. Also Menschen, die fast alles verloren haben. Deshalb sage ich: Wer nach unten tritt, wie Pegida, ist nicht mutig, sondern feige.

Gelebte Willkommenskultur

Zum Glück gibt es viele Menschen, darunter viele Mitglieder unserer Partei, die bereits konkrete Initiativen im Sinne einer gelebten Willkommenskultur für Flüchtlinge ergriffen haben.

In Schleswig-Holstein kümmern sich beispielsweise Genoss*innen darum, dass die Flüchtlinge am Tag ihrer Ankunft begrüßt werden. In Dresden rief die Partei dazu auf, Sprachkurse in Flüchtlingsheimen anzubieten oder anderweitig Begegnung zu organisieren. In anderen Städten werden Flüchtlinge bei Behördengängen begleitet.

Mit  solcher Willkommenskultur leisten wir konkrete Hilfe. Darüber hinaus zeigen wir Flagge gegen Rassismus. Lasst uns 2015 einmal mehr deutlich machen: Der Kampf gegen Rassismus und für eine offene Gesellschaft ist ein Markenzeichen unserer Partei!

Lasst uns an dieser Stelle herzlich Danke sagen. Danke all jenen, die sich bei konkreter Flüchtlingshilfe engagieren. Dank auch all jenen, die sich immer wieder Nazi-Demos in den Weg stellen. Lieber Bodo, lieber Tim, die sächsische Justiz will Euch deshalb kriminalisieren. Aber wir sind stolz auf euer, ja unser gemeinsames antifaschistisches Engagement. Wir stehen an eurer Seite.

Gegen Prekarisierung, nicht gegen Islamisierung

Bei den Debatten um Pegida taucht immer wieder eine Frage auf: Gibt es berechtigte Sorgen, die die Politik aufgreifen sollte?

Nun, es gibt berechtigte Sorgen. Die soziale Spaltung in diesem Land nimmt zu. Immer mehr Menschen sind von Altersarmut bedroht. Existenzangst greift um sich. Und wo Existenzangst zunimmt, verschärft sich das gesellschaftliche Klima. Es wird nach unten getreten, nicht nach oben.

Wir werden deshalb im kommenden Jahr den Kampf gegen die zunehmende Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse zum Schwerpunkt einer Kampagne machen. Wenn etwas wirklich Not tut, dann ist das eine ganz andere Bewegung: Nicht eine herbei fantasierte Islamisierung ist das Problem. Wir brauchen eine Bewegung gegen die Prekarisierung, aber ganz bestimmt nicht gegen die Islamisierung des Abendlandes!

10 Jahre Hartz IV

Wir müssen dem Gesellschaftsbild, wonach nach unten getreten wird, etwas entgegensetzen. Deshalb werden wir auch im Kampf gegen Hartz IV nicht leise: Zu einem würdevollen Leben gehört das Recht seine Arbeit bzw. Tätigkeit frei wählen zu können, ohne in fragwürdige Maßnahmen oder Jobs gedrängt zu werden. Zu einem würdevollen Leben gehört, dass Alle aufrechten Ganges an der Gesellschaft teilhaben können, ohne sich aus Scham oder Geldnot in den eigenen vier Wänden verkriechen zu müssen.

Unsere Bilanz lautet deshalb: Hartz IV muss abgeschafft und durch gute Arbeit sowie eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden. Unter 1050 Euro im Monat droht Armut.

Das ist der zentrale Unterschied zwischen Hartz IV, für das letztlich alle anderen im Bundestag stehen und der neuen sozialen Idee, für die wir als LINKE stehen: Dort die soziale Kälte. Hier der Einsatz für Mitmenschlichkeit. Dort die gebückte Haltung. Hier der Einsatz für eine  Gesellschaft des aufrechten Gangs. Dort Armut und Existenzangst per Gesetz. Hier der Einsatz für eine Gesellschaft frei von Armut und frei von Existenzangst.

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Verbindende Partei

Die Zeiten der zunehmenden Unsicherheit stellen besondere Anforderungen an unser Handeln. Viele setzen Hoffnungen in uns, viele unterschiedliche Gruppen: Erwerbslose, Flüchtlinge, Rentner*innen, Beschäftigte usw.

Deshalb sollten wir unser Handeln am Leitbild einer „verbindenden Partei“ orientierten. Einer Partei, in der die Frage im Mittelpunkt steht, wie wir gemeinsam die Machtverhältnisse verändern können und nicht, wer die Wahrheit für sich gepachtet hat. Das stellt natürlich hohe Ansprüche an alle Beteiligten.

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Wider die Falken

Ich habe es schon angedeutet. Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Und in diesen Zeiten werden weltweit die Falken also die Kräfte, die auf Militarisierung und Krieg setzen, wieder stärker.

Das beginnt mit einem Bundespräsident, der auftritt wie ein Nato-General. Und es setzt sich fort im Ukraine-Konflikt. Stimmen der Vernunft werden denunziert und der Gegenseite zugerechnet – wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr.

Angesichts der vielfältigen Kriegsszenarien empfiehlt es sich noch einmal nachzulesen in der scharfsinnigen Analyse der Kriegspropaganda von Rosa Luxemburg. Der Anti-Kriegs-Text trägt bezeichnender Weise den Titel „Die Krise der Sozialdemokratie.“ Darin heißt es: „Die Legende gehört so gut zum Kriegführen wie Pulver und Blei. Das Spiel ist alt.“

Auch heute rufen die Falken nur selten offen nach Krieg. Die Legenden wechseln, aber das Spiel ist alt. Unsere Aufgabe lautet deshalb, alles zu unterlassen, was die Falken stärkt. Und immer wieder deutlich zu machen: Krieg ist nicht die ultimo ratio der Politik, sondern die ultimo irratio.

Gegen TTIP und CETA

Zu den großen Herausforderungen des kommenden Jahres gehört fraglos die Politik in Europa. Die europäische Sozialdemokratie existiert in vielen Ländern faktisch nicht mehr oder sie ist, wie in Deutschland, Teil einer Koalition für das Kürzungsdiktat. 

Die Auseinandersetzung um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA war diesbezüglich ein weiteres Lehrstück. Das war doch ein tolles Stück, was er da aufgeführt hat. Erst wettert Sigmar Gabriel  wortgewaltig gegen die im Abkommen vorgesehen Schiedsgerichte. Begeistert von dem rhetorischen Feuerwerk verkündet die Sozialdemokratie, energisch für die Herausnahme der Schiedsgerichte zu streiten und nimmt dafür die generelle Zustimmung zu den Abkommen nebenbei in Kauf. Kurze Zeit später stellt man dann – ganz erstaunt – fest, dass es leider nicht mehr möglich sei, diese Schiedsgerichtsregelung aus dem Abkommen zu streichen. Was bleibt ist die signalisierte Zustimmung.

Also, wenn ein Lobbyist den Auftrag bekommen hätte, ein Drehbuch dafür zu schreiben, wie man die Sozialdemokratie aus der breiten Front des Widerstandes gegen solche Abkommen herausbricht, er hätte es nicht besser aufschreiben können, als es Gabriel selbst vollzogen hat.

Für eine Kraft der Veränderung in Europa

Für eine Veränderung der Politik in Deutschland und Europa kann man also nicht auf  die Sozialdemokratie setzen. Wir brauchen: eine neue Kraft der Veränderung.

In Griechenland wird diese Kraft der Veränderung verkörpert durch SYRIZA mit Alexis Tsipras an der Spitze. Liebe griechische Genossinnen und Genossen, wir drücken Euch die Daumen!

Allein die Möglichkeit, dass die griechische Bevölkerung eine Partei wählt, die der Bundeskanzlerin politisch nicht passt, führt nun dazu, dass sie mit Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro droht. Wie entlarvend für das Demokratieverständnis von Merkel und Co.!

Ich meine: Zur verantwortungsvollen Amtsführung einer Bundeskanzlerin gehört der Grundsatz, sich nicht erpresserisch in die Wahlkämpfe anderer Länder einzumischen. Das gehört sich nicht!

Europa ist nicht das Privateigentum von Angela Merkel. Und auch Angela Merkel sollte wissen: Zur Demokratie gehört die Veränderung. Dieses Europa, ja diese Welt rufen nach grundlegender Veränderung.

Nehmen wir uns als europäische LINKE dieser Aufgabe an. Stellen wir uns dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes Wesen ist.

Kategorien: Antirassismus, Bundespolitik, Europapolitik, Soziales

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