„Chancen für Kinder!“ – so lautet das diesjährige Motto von UNICEF und dem Deutschen Kinderhilfswerk zum Weltkindertag am 20. September 2013. Damit möchten die Kinderrechtsorganisationen das Recht der Kinder auf gleiche Chancen im Bildungssystem in den Mittelpunkt stellen.
Die Forderungen des Kinderhilfswerkes ensprechen denen der LINKEN. Wir dokumentieren:
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildungschancen – ganz gleich aus welchem Elternhaus oder Land es kommt. Mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention hat die Bundesrepublik Deutschland das Recht des Kindes auf Bildung auf der Grundlage der Chancengleichheit anerkannt. Denn Bildung ist ein Schlüsselelement für die Zukunftsperspektive von Menschen und Gesellschaften. Bildung ist ein grundsätzliches Kinder- und Menschenrecht, das allen Kindern gleichermaßen zusteht. So formuliert es auch die UN-Kinderrechtskonvention. Dort heißt es: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere ... a) den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen ...“ (Artikel 28 (1)).
Spätestens seit PISA ist in Deutschland die Bildungsdiskussion neu entbrannt. Nicht nur, dass das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler in Deutschland im internationalen Vergleich bestenfalls im unteren Mittelfeld liegt, die PISA Studien haben auch einmal mehr deutlich gemacht: Es ist vorrangig die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler, die über ihren Bildungserfolg entscheidet.
Soziale Sicherheit für Kinder und Bildungsgerechtigkeit sollten in einer der reichsten Industrienationen der Welt eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Die Realität sieht aber seit vielen Jahren anders aus. In Deutschland ist jedes fünfte Kind von Armut betroffen, und vielfach entscheidet der Geldbeutel der Eltern über die Bildungschancen von Kindern. Heute wird nur zu oft von dem Erfordernis eines lebenslangen Lernprozesses gesprochen. Menschen sollen sich wei-terentwickeln und neues lernen, damit sie den stetigen Anforderungen des modernen Lebens gerecht werden können. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist allerdings: Jedes Kind muss frühzeitig an Bildungsprozessen teilhaben können. Sonst werden manche beim lebenslangen Lernen schon von Geburt an abgehängt. Kein Kind darf zurückbleiben!
Bildung und Lernen darf dabei nicht mit Schulbildung und Lerncurricula gleichgesetzt werden. Im deutschen Bildungskanon ist das Recht, die Begabung und die geistigen sowie körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen, einseitig auf die geistigen Fähigkeiten eingeschränkt, beispielsweise sind „körperliche Fähigkeiten“ und „Begabungen“ als Bildungsziel allenfalls in besonderen Schwerpunktschulen (Sport, Musik, Theater) definiert. Es muss gelten, jedes Kind individuell nach seinen Fähigkeiten zu fördern und darüber hinaus müssen Möglichkeiten geschaffen werden, Begabungen und Talente aufzugreifen und diese weiterzuentwickeln – auch in Schulen ohne spezielle Schwerpunktsetzungen. Dafür müssen jedoch Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Kindern erlauben, sich individuell zu entwickeln und entsprechend ihren Persönlichkeiten gefördert zu werden. Praxisnahe Qualifikation des Personals, aus-reichend räumliche wie zeitliche Ressourcen oder Flexibilität in Gestaltung von Lehrplänen und Unterrichtseinheiten müssen als Grundvoraussetzungen für individuelles Lernen gelten.
Bildung muss ferner als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, die nicht nur Schulbildung umfasst, sondern auch soziales Lernen einschließt und der ein ganzheitlicher Bildungsbegriff zugrunde liegt, der formale, informelle und nonformale Bildung beinhaltet. So gehört spielen mit Anderen zu den wichtigsten Bildungsmöglichkeiten für Kinder. Hier lernen
Kinder sich kompetent zu bewegen, sie lernen soziale Kontakte zu knüpfen, sich in größeren Gruppen zu verhalten, sich durchzusetzen und Regeln einzuhalten. Für das freie Spiel bleibt bei steigender Schulzeit jedoch genauso wenig Zeit, wie für Aktivitäten in Vereinen oder das ehren-amtliche Engagement. Mit der Einführung von G8 ist das ehrenamtliche Engagement von Jugend-lichen um ein Drittel zurückgegangen.
Schülerinnen und Schüler befinden sich in einem permanenten Ausleseprozess: Sie werden zurückgestellt, bleiben sitzen, werden auf Förderschulen überwiesen und frühzeitig auf das ver-zweigte Schulsystem hin ausgelesen. Viele Kinder haben Angst in der Schule zu versagen, der damit einhergehende psychische Druck beeinträchtigt das Lernvermögen und die Motivation zu lernen.
Besonders der frühkindlichen bzw. vorschulischen Bildung muss eine besondere Bedeutung zukommen. Die Lern- und Aufnahmefähigkeit von Kindern im vorschulischen Alter ist besonders hoch. Kinder dieses Alters wollen lernen, ausprobieren und experimentieren, sind von sich aus neugierig und wissbegierig. Nie wieder lernen Menschen so viel und mit so großem Spaß wie in den ersten Lebensjahren. Dabei kann eine gute Bildung schon für kleine Kinder die Chancengleichheit in unserer Gesellschaft befördern und herkunftsbedingte und soziale Unterschiede am besten ausgleichen. Gerade durch Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der frühen Bildung entwi-ckeln Kinder schon in jungem Alter soziale Kompetenzen, die sie stark machen. Partizipation und Demokratiebildung müssen daher schon im Kindergarten Thema sein und sich über den gesam-ten Bildungsweg hinweg erhalten, erst dann ist der Grundstein für einen chancengerechten Schulstart gelegt. Frühe Beteiligung durchbricht den Kreislauf der Vererbung von Armut und stärkt das Demokratiebewusstsein und spätere gesellschaftliche Partizipation einer heranwach-senden Generation. Neben dem Vorschulalter verfügen Kinder in der Grundschule meist noch über eine besondere Aufnahmefähigkeit und Lernmotivation, die eine frühzeitige Kompensation möglicher Entwicklungsunterschiede ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist es umso kritischer zu bewerten, dass sich das hohe Wohlbefinden der Kinder zu Beginn der Schulzeit von der 2. bis zur 4. Klasse gravierend verschlechtert. Hier müssen auch finanzielle Anstrengungen unternom-men werden, um diesem Trend entgegen zu wirken.
Generell müssen die Bildungsausgaben deutlich erhöht werden. Bisher liegt Deutschland im Vergleich der OECD-Staaten bei den Bildungsausgaben mit einem Anteil von 5,3 Prozent am Brut-toinlandsprodukt deutlich unter dem Schnitt von 6,2 Prozent. Der Essener Bildungsökonom Klaus Klemm beziffert den fehlenden Finanzierungsbedarf von den Kindergärten bis zu den Uni-versitäten auf 45 Milliarden Euro pro Jahr. Bedenklich ist auch, dass für Gymnasiasten deutlich mehr Geld ausgegeben wird als für Grundschüler. Dies ist besonders im Hinblick auf die besonderen Lernpotenziale von Kindern im Grundschulalter problematisch.
Herkunftsbedingte und soziale Selektion spielen allerdings auch beim Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule eine viel zu große Rolle. Unser derzeitiges Schulsystem orientiert sich noch immer am Ziel homogener Lerngruppe. Das führt jedoch nicht zu besseren Lernergeb-nissen, sondern vielfach geradewegs zu einer Bildungsdiskriminierung, bei der Kinder aus bil-dungsfernen Familien, Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder mit Behinderung auf der Strecke bleiben. Eine frühe Selektion widerspricht ganz und gar einem Verständnis von Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Kinder müssen länger gemeinsam lernen. Denn neben den Bildungsinhalten lernen sie so auch voneinander und werden in ihrem sozialen Zusammenhalt gefördert. Internationale Studien belegen, wie längeres gemeinsames Lernen von Schülerinnen und Schülern bis zum Ende der Pflichtschulzeit bei gleichen oder besseren Lernleistungen einer frühen sozialen Selektion entgegenwirkt.
Herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen gibt es auch im nonformalen und informellen Bereich. Es zeigt sich, dass Schule die vorhandenen Unterschiede bei Computerkompetenzen, die in der Freizeit erworben werden und auch von häuslichen, mit dem Sozialstatus verknüpften Ausstattungs- und Nutzungsmöglichkeiten geprägt sind, nicht ausgleichen kann.
Eine besonders zu benennende Ausgrenzung bei den Bildungschancen findet bei Flüchtlingskindern statt. Jedes Kind hat ein Recht auf Bildungschancen – ganz gleich wo es lebt und mit welchem Aufenthaltsstatus. Denn Bildung ist ein Schlüsselelement für die Zukunftsperspektive von Menschen und Gesellschaften. Dies ist am besten durch eine umfassende Schulpflicht sicherge-stellt. Schulen, Sprachlerneinrichtungen und Kindertagesstätten müssen für die Kinder aber auch tatsächlich erreichbar sein. Durch eine Unterbringung in Einrichtungen, die weit entfernt von Kindertagesstätten und Schulen sind und über keine ausreichende Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr verfügen, werden die Bildungschancen für Kinder oftmals wieder zunichte gemacht. Ein Kind, das jahrelang nicht zur Schule gehen kann, wird nicht wieder aufzuholende Bildungslücken haben, die ihm im weiteren Lebenslauf viele Chancen verbauen. Auch wenn diese Kinder nicht in Deutschland bleiben, sondern in ihr Heimatland zurückgehen oder anderswo auf der Welt leben werden – Bildung und Ausbildung nehmen sie überall mit hin. Um den Schulbesuch für alle Kinder und Jugendlichen, also auch für Flüchtlingskinder und Kinder ohne Aufenthaltsstatus verbindlich und einheitlich zu regeln, sollte ein Passus in den Bundesländern Gesetzeskraft erlangen, nach dem Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus der Schulpflicht und damit dem Schulrecht unterliegen.
- Kinder brauchen eine Schule, die ihnen Zeit für außerschulische Aktivitäten lässt und sich als Teil eines sozialen und kulturellen Netzwerkes im Stadtteil sieht. Insbesondere Schulen in sogenannten „sozialen Brennpunkten“ müssen zu Bildungszentren für alle werden, die auch die Eltern und Großeltern der Kinder ansprechen und einbeziehen.
- Kinder brauchen eine Schule ohne Auslese, eine inklusive Schule, in der alle Kinder – gleich welcher Herkunft und welcher Leistungsfähigkeit– gemeinsam leben und lernen können und in der sie die individuell notwendigen Unterstützungen erhalten.
- Kinder brauchen eine Schule, die einen gerechten Zugang zu Lehrmitteln gewährleistet. Nur eine bundesweite Lehrmittelfreiheit kann garantieren, dass kein Kind vom Unterrichtsgeschehen ausgeschlossen wird.
- Kinder brauchen eine Schule, die ihre Begabungen und Talente erkennt und fördert. Dies gilt sowohl für den formellen, als auch für den informellen Bereich der Bildung.
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