"Selbstausbeutung oder Selbstverwirklichung? – Das kreative Prekariat"
Die Kreativ- und Kulturwirtschaft habe eine große Zukunft, lautete Ende der 90er Jahre eine Botschaft aus dem politischen Berlin, verbunden mit dem Versprechen nach mehr Flexibilität und einem hohen Maß an Selbstbestimmtheit der in diesem Bereich Tätigen. Dabei führte man seitens der Politik sogar den Begriff von der Kreativen Klasse ins Feld. Doch wie gestaltet sich die soziale Situation in der Realität, unter welchen Bedingungen leben und arbeiten jene, die z.B. als Webdesigner, Layouterin oder Musikerin mit viel Idealismus selbstunternehmerisch ihren Lebensunterhalt bestreiten? Um diese Fragen und eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Ideologie der Begriffe Kulturindustrie und Kreativwirtschaft ging es in der Veranstaltung "Selbstausbeutung oder Selbstverwirklichung? – Das kreative Prekariat", zu der die Landesarbeitsgemeinschaft Kultur bei der Partei DIE LINKE. Sachsen in Kooperation mit der Kulturschaffenden Linken am 10. Juli in die Nikkifaktur Dresden eingeladen hatte. Die Nikkifaktur, selbst eine Einrichtung von Kreativen, hat ihren Standort in einem ehemaligen Betriebsgelände am Rand der Dresdner Neustadt, in dem sich etliche kleine Gewerbe, kreative Initiativen und auch Künstler/innen angesiedelt haben.
Der Tourneeveranstalter und Autor Berthold Seliger (Berlin) schlug in seinem Vortrag einen weiten Bogen von den Weichenstellungen für die flexiblen und zumeist von Prekarität geprägten Beschäftigungsmodelle des Neoliberalismus und dem Abschied vom Wohlfahrtsstaat unter Margret Thatcher Anfang der 80er Jahre bis zu den aktuellen Debatten um die überfällige Modernisierung des Urheberrechts, das derzeit als Verwerterrecht angesehen werden muß. Denn die Urheber/innen auf der einen und Rezipient/innen auf der anderen Seite haben bei den bisherigen Regelungen das Nachsehen. Thematisiert wurde in Vortrag und Diskussion u.a., dass es nicht um eine pure Kulturpolitik oder vorrangig nur um Einzelförderung von Künstler/innen, Kulturarbeiter/innen und Kreativen gehen kann. Zuallererst sind hier Veränderungen struktureller Art gefragt, die die Grundbedingungen und Voraussetzungen für künstlerische wie kreative Arbeit verbessern resp. gewährleisten. So sollte die Politk dafür sorgen, dass es genügend bezahlbare Proben-, Atelier- und Werkstatträume gibt, und das hat dann nicht zuletzt mit Stadtentwicklung zu tun. In der sehr lebendigen Debatte ging es auch um Spielstättenförderung, Mindestlohn und Honoraruntergrenzen, um Möglichkeiten, die Verhandlungsmacht der Kreativen gegenüber den Auftraggebern und der Verwertungsindustrie zu stärken, die Vernetzung untereinander zu intensivieren und um sich ergebende Solidarisierungseffekte. Unter den vierzig Veranstaltungsteilnehmerinnen und -teilnehmern fanden sich erfreulich viele, die als Kreative, Künstler/innen oder Kulturvermittler/innen arbeiten.
Kategorien: Sachsen, Kultur
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