04. September 2013

Kabarett erspart den Psychiater: Interview mit Wolfgang Schaller

Wolfgang Schaller, seit über 40 Jahren Hausautor der Herkuleskeule und seit fast 30 Jahren deren Künstlerischer Leiter. Als einer der bekanntesten und meistgespielten Autoren im Osten vor vier Jahren vom damaligen Außenminister Steinmeier ausgezeichnet mit dem Stern der Satire. Schrieb zusammen mit Peter Ensikat satirische Stücke, die ein Stück Kabarettgeschichte schrieben.

„Obwohl sie nicht ganz verbergen konnten, dass sie aus dem Osten kommen, erreichten sie doch westdeutsches Spitzenniveau.“

Herr Schaller, warum sind Sie Kabarettist geworden?

Mein Vater war Kommunist. In der Schule waren die hehren Ideale des Sozialismus Impfstoff. Als ich selbständig zu denken begann, merkte ich, dass es zwischen diesen Idealen und der Wirklichkeit ein tiefes Wolfgang Schaller, seit über 40 Jahren Hausautor der Herkuleskeule und seit fast 30 Jahren deren Künstlerischer Leiter. Als einer der bekanntesten und meistgespielten Autoren im Osten vor vier Jahren vom damaligen Außenminister Steinmeier ausgezeichnet mit dem Stern der Satire. Schrieb zusammen mit Peter Ensikat satirische Stücke, die ein Stück Kabarettgeschichte schrieben.Wasser gab. Wie es in einem Volklied heißt: „Und konnten zusammen nicht kommen.“ Dieser Widerspruch, diese Hassliebe DDR hat mich geprägt. Da begann ich am Lehrerinstitut Kabarett zu spielen. Mir was von der Seele zu schreiben - ich glaube, das hat mir den Psychiater erspart.

Worin liegt der Auftrag von Kabarett: Den Leuten lachend über schlechte Zeiten hinwegzuhelfen oder sie auf Missstände aufmerksam zu machen und sie zu motivieren, dagegen anzugehen?

Lachen ist der Wein der Seele. Ja, es hilft über schlechte Zeiten. Vielleicht gibt es zur Zeit so wenig gute Witze, weil es uns zu gut geht oder weil wir zu gleichgültig geworden sind gegenüber dem, was um uns und mit uns geschieht. Juden haben sich noch im Ghetto und KZ Judenwitze erzählt. Früher wollte ich mit Kabarett die Welt verändern. Da wird man im Alter bescheidener. Aber als Reaktion auf meine Kolumnen in der Sächsischen Zeitung höre ich immer wieder von Lesern: Sie haben mir Mut gemacht. Das ist doch ein gutes Gefühl, für ein paar Leute wichtig zu sein. Und zu einer ziemlich schwarzen Hitler-Nummer in einem Programm der Herkuleskeule höre ich: Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht. Und ich hab überhaupt nichts gegen Nachdenken.

Die Rezeption von Kabarett war in der DDR doch ziemlich anders, es wurde viel „zwischen den Zeilen“ gesagt und auch so aufgenommen. Wie ist das heute?

Darüber möchte ich eigentlich nicht mehr sprechen. Die Frage wird mir seit 23 Jahren gestellt. Ja, es war in der DDR ziemlich anders. Uns verband mit allen im Publikum gleiche Wut, gleiche Sinn. Ob Fleischermeister, Lehrer oder Hausfrau, alle hofften auf Veränderungen. Alle waren hellhörig, was es zwischen den Zeilen für Anspielungen gab. Heute muss man manchmal laut schreien, um gehört zu werden. Und lustig muss es sein. Am besten sich so lange vor Lachen auf die Schenkel klatschen, bis der Kopf zwischen den Schenkeln stecken bleibt. Ich will mit Kabarett mehr. Da bin ich altmodisch. Ich will einen Zeitgeist, der oft eine Geisterzeit ist, gegen den Strich bürsten.

Wie würden Sie die momentane Situation der Herkuleskeule beschreiben?

Wir klagen auf hohem Niveau. Der Saal wird nicht mehr automatisch voll, nicht mehr so wie einst, da Brigaden so lange auf bestellte Karten warten mussten, da gabs die oft gar nicht mehr, wenn sie dran waren. Wir haben Programme, wo es herumspricht: Da müsst ihr hin! Dann gibt’s ein volles Haus und Jubel bei uns und im Saal. Wir lassen uns heute viel einfallen, damit die Leute Lust kriegen, zu uns zu kommen.

Und im Gästebuch lesen wir fast jeden Tag: „Danke für den tollen Abend.“ Oder „Das war das beste, was wir an Kabarett im Lande gesehen haben.“

Über Jahrzehnte bestand die Freundschaft Wolfgang Schaller - Peter Ensikat. Daraus resultierte nicht zuletzt ein Programm-Austausch zwischen Berliner Diestel und Dresdner Herkuleskeule. Nun ist Peter Ensikat leider kürzlich verstorben - können Sie sich vielleicht vorstellen, dass nächstes Jahr am Todestag die Herkuleskeule gemeinsam mit der Diestel ein Programm in Berlin und Dresden startet "In Memoriam Peter Ensikat" mit den besten Ensikat-Schaller-TexteWie würden Sie die momentane Situation der Herkuleskeule beschreiben?n - oder haben die Berliner etwas in der Art in der Pipeline, was dann hier in der Herkuleskeule aufgeführt wird? Kurz, wie werden Herkuleskeule und Diestel das Erbe von Peter Ensikat pflegen?

Mit Peter Ensikat habe ich fast 40 Jahre zusammengearbeitet. Er war nicht nur mein bester Freund, er war mein Arbeitspartner, ein Glücksfall in meinem Leben. Er steht weiter täglich mit uns auf der Bühne, wenn wir seine Texte spielen. Ja, die Distel bereitet ein Programm mit seinen Texten vor, mit dem sie auch bei uns gastieren werden. Und, ja: Ein Programm Anfang 2015, das mein Abschiedsprogramm als Künstlerischer Leiter wird, wird viel mit Ensikat-Schaller zu tun haben, in dem ich ein altes Sujet eines unserer gemeinsam geschriebenen Programme wieder aufnehmen will: Überlebenszeit. Das wird zeigen, dass die Heftigkeit der Überlebensprobleme heut anders, aber genau so groß ist wie einst in der Endzeit der DDR.

Beim Thema Erbepflege kommt man fast zwangsläufig auf die Idee eines Kabarett-Archivs - dieses existiert in Mainz. Nun ist die ostdeutsche Kabarett-Tradition sehr speziell. Können Sie uns sagen, mit welchen ostdeutschen Kleinodien der hiesigen Kabarett-Szene das Mainzer Kabarett-Archiv bislang bestückt wurde, was dort von Ihnen und Peter Ensikat derzeit vorhanden ist?

Die haben in den Mainzer Akten alles, die wissen über uns mehr als damals die Stasi.

Der Austausch zwischen Ost und West auf kulturellem Gebiet war steinig vor der Wende aus politischen Gründen - und blieb es nach 89 aus anderen Gründen. Sie selbst haben es erfahren, wie schwer es war als Dresdner bzw. sächsisches Kabarett im Westen zu landen - und die Flugversuche nach einiger Zeit mehr oder weniger eingestellt. Welche Erfahrungen hat die Herkuleskeule in den 90er Jahren im Westen gemacht?

Gerhard Polt mit seinen Biermöseln hat schon vor 89 in unserem Haus gastiert, Dieter Hildebrandt hat ein Loch in der Mauer gefunden, so dass wir schon 1987 in München gastieren konnten. Und die “Flugversuche“ in Richtung Westen haben wir überhaupt nicht eingestellt. Wir haben in einigen Gegenden, besonders in Bayern bei Gastspielen Heimspiele. Das Publikum feiert uns immer. Nicht immer die Rezensenten, unter denen gibt es eine Menge Arroganz gegenüber allem, was aus dem Osten kommt. Eine westdeutsche Zeitung schrieb einmal nach einem Gastspiel über uns: „Obwohl sie nicht ganz verbergen konnten, dass sie aus dem Osten kommen, erreichten sie doch westdeutsches Spitzenniveau.“

Der Austausch Ost -West wird in der Herkules-Keule mit Gastprogrammen gepflegt. So ist zum Beispiel Dieter Hildebrandt ein regelmäßiger Gast. Welche Gäste dürfen die Besucher der Herkules-Keule in diesem Jahr sicher erwarten, mit welchen ist man noch in Verhandlung?

Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt waren gerade bei uns. Wir versuchen aber immer wieder, jüngere, aber halt noch unbekanntere Kabarettisten zu uns zu holen. Da gibt es tolle Leute. Leider sind die Dresdner nicht sehr neugierig, Neues kennenzulernen. Was nicht Barock ist…

Immer wieder gibt es ja auch Ausflüge aufs Land. Auf welchen Bühnen Sachsens werden Mitglieder der Herkules-Keule und in welchen Monaten mit welchen Programmen 2013 präsent sein?

Unsere Kanzlerin hat gesagt, „das Internet ist Neuland“. Aber da ich es sogar zu nutzen verstehe, können Ihre Leser garantiert auch unsere Homepage finden, auf der alles über unsere Programme und Gastspiele steht.

Das Land wird immer mal wieder gebeutelt - wie jetzt durch die Flut. Wird die Herkules-Keule allein oder mit anderen Partnern vielleicht eine Benefiz-Veranstaltung für die Opfer des letzten Hochwassers veranstalten?

Indirekt gehören wir auch zu den Opfern. Die Panikmeldungen in den Medien führten dazu, dass keine Touristen nach Dresden kamen. Und die Dresdner standen entweder unter Wasser, oder es war ihnen zu kalt und dann später zu heiß – jedenfalls hatten wir besuchermäßig etliche schwierige Tage. Ja, Kollegen nehmen an Benefizveranstaltungen teil und spenden. Das tut man, darüber spricht man nicht.

Mit Philipp Schaller und Erik Lehmann ist auch der Nachwuchs auf der Bühne, der auch neues Publikum ansprechen und gewinnen soll - wie sind Sie zufrieden mit den Erfolgen des Nachwuchses, was unterscheidet und was verbindet auch Wolfgang mit Philipp Schaller?

Dass in einem Ensemble jung und alt zusammen auf der Bühne stehen, kommt in anderen Ensembles kaum vor. Es ist schön und manchmal auch, na, sagen wir mal: streitbar. Die „Spätzünder“ sind ein aus unserer Programmpalette nicht mehr wegzudenkender Farbtupfer geworden. Und Erik und Philipp werden im Oktober zusammen in einem neuen Programm auf unserer Bühnen stehen. Wie immer jung, frech und schwarz. Und zum gleichen Zeitpunkt gehe ich mit Rainer Schulze auf die Bühne. Zwei neue Programme hintereinander – so, und jetzt wissen Sie mehr als anderen Zeitungen. Punkt.

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