Dieser Satz von Jens Spahn hat für Empörung gesorgt: "Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut." Seine Begründung: "Mit Hartz IV hat jeder, was er zum Leben braucht", denn Hartz IV werde "mit großem Aufwand genau bemessen und regelmäßig angepasst."
Jens Spahn ist seit vielen Jahren Politiker der CDU. Seit der Existenz von Hartz IV kritisieren Sozialverbände, linke Parteien und neuerdings auch bürgerliche Medien die Berechnungsmethoden von Hartz IV: die Auswahl der Haushalte, deren Verbrauch statistisch erfasst wird (z.B. die Einbeziehung von sogenannten verdeckt Armen, die aus Unkenntnis oder Scham keinen Antrag auf Hartz IV, Sozialhilfe oder Grundsicherung gestellt haben), die
Streichung von Ausgaben aus den abgegebenen Listen (z.B. chemische Reinigung). Wolfgang Waitz hat mehrfach u.a. bei Veranstaltungen des Sozialforums Göltzschtal und im Vogtlandboten kuriose und traurige Beispiele dafür genannt. Aber Jens Spahn urteilt, Hartz IV sei genau bemessen. Hat er sich je mit dieser Problematik befasst?
Noch erstaunlicher ist seine offensichtliche Ignorierung amtlicher Analysen: Jährlich werden Statistiken über Armut in Deutschland veröffentlicht: 2016 waren 19,7 % unserer Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen (statistica.com). Die Armutsgrenze liegt dabei nach der "neuen OECD-Äquivalenzskala" bei "60% des mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommens der Bevölkerung in Privathaushalten". Gehören zu diesen 19.7% keine Hartz IV-Empfänger?
Und auch Stellungnahmen von Vertretern der Sozialverbände sind ihm anscheinend nicht wichtig: Wiederholt hat z.B. der Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider kritisiert, dass man mit 240 € im Monat kein Kind versorgen kann und dass die löblich in Aussicht gestellte Erhöhung des Kindergeldes bei den Ärmsten der Armen nicht ankommt, weil Kindergeld von der Hartz IV-Regelleistung abgezogen wird. Auch die Berechnung der Hartz IV-Regelsätze wertet er als willkürlich und vorsätzlich kleingerechnet.
Nach zahlreichen Kritiken, auch aus den eigenen CDU-Reihen, hat Jens Spahn zwar seine Aussage, Hartz IV sei keine Armut, nicht zurückgenommen, aber er versuchte, seine Kritik abzuschwächen: "Natürlich ist es schwierig, mit so einem kleinen Einkommen umgehen zu müssen, wie es Hartz IV bedeutet. Das deckt die Grundbedürfnisse ab, nicht mehr." Ihm sei wichtig zu betonen, "dass unser Sozialsystem für jeden ein Dach über dem Kopf vorsieht und für jeden das Nötige, wenn es ums Essen geht." Ich bin nicht sicher, dass Hartz IV das überall leistet, Ich bezweifle z.B., dass in Großstädten, wo die Mieten enorm steigen, alle Betroffenen für die genehmigten Hartz IV-Mietkosten Wohnungen finden.
Ich denke, Sandra S. von Change.org. fordert berechtigt, dass Jens Spahn doch wenigstens einen Monat versuchen sollte, von Hartz IV zu leben. Die Petition, die sie im Internet initiiert hat, haben übrigens bis zum 15.3.2018 mehr als 100 000 Menschen unterschrieben!
Dr. Dorothea Wolff
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