Zum Kommentar von F.
F. schreibt: "Im Normalfall gehen ALG II-Bezieher wieder einer Beschäftigung nach. Die Zeit zwischen ALG II und neuer Beschäftigung mit Umzug aus einer unangemessenen Wohnung auszufüllen ist nicht hinnehmbar."
Wichtig ist, das Jobcenter zu veranlassen, die "unangemessenen" Kosten für die Unterkunft mindestens so lange zu übernehmen, wie es der Gesetzgeber erlaubt. Folgende Aufgaben hat das Jobcenter zu erfüllen:
Wenn die Bruttokaltmiete eines ALG II-Beziehers über der abstrakten KdU-Angemessenheitsgrenze (der KdU-Richtwerte für die Bruttokaltmiete) liegt, muss das Jobcenter untersuchen, ob die Wohnungskosten im konkreten Einzelfall nicht doch angemessen sind (konkrete Angemessenheit). Dazu muss zunächst der Betroffene angehört werden (mündlich oder schriftlich), damit das Jobcenter erfährt,
ob ein Kostensenkungsverfahren, das ja meistens Umzug bedeutet, zumutbar ist, z.B. können gesundheitliche Gründe einen Umzug unzumutbar machen.
ob ein Umzug wirtschaftlich ist: Wenn das Jobcenter einen Umzug veranlasst, muss es auch die Umzugskosten (direkte Kosten des Umzugs, unvermeidbare doppelte Miete für einen Monat u.ä) zahlen.
ob die Gesamtbetrachtung ergibt, dass ein Umzug wirtschaftlich wäre: ist bei billigeren Kosten für die Bruttokaltmiete der Gesamtpreis für die Bruttowarmmiete niedriger als die unangemessene derzeitige Warmmiete, wenn etwa die Heizkosten voraussehbar höher ausfallen werden als bisher?
Haben alle diese Überprüfungen ergeben, dass die Wohnung im Einzelfall doch angemessen ist, dann (aber erst dann!) darf die Aufforderung zur Kostensenkung erfolgen. Dafür gibt § 22 Absatz 1 Satz 3 SGB II bis 1/2 Jahr Zeit. Sollte das Jobcenter eine kürzere Zeit festlegen, empfehlen wir, beim Jobcentermitarbeiter die gesetzlich zulässige Zeit von 1/2 Jahr zu beantragen mit der Begründung, dass Sie die Erfahrung gemacht haben, in relativ kurzen Zeitabständen immer wieder eine Arbeit gefunden zu haben.
Einen Widerspruch können Sie nicht einlegen, da die Kostensenkungsaufforderung kein sogenannter Verwaltungsakt ist. Allerdings können Sie sich mit einer Feststellungsklage zur Wehr setzen, in der Sie die Unzumutbarkeit der Kostensenkung bzw. des Umzugs begründen (Bundessozialgericht, Urteil vom 15.06.2016, B 4 AS 36/15 R).
Wenn sie bereits eine Arbeit zu einem konkreten Termin in Aussicht haben und das belegen können, ist das Jobcenter schon aus Wirtschaftlichkeitsgründen verpflichtet, ihnen nach entsprechender Berechnung die volle Miete auch für länger als 1/2 Jahr zu zahlen.
Zum Kommentar von S.U.
S. U. wurde auf eine Wohnung von nur 30 m² verwiesen.
Es gilt die Produkttheorie: der KdU-Angemessenheitswert setzt sich aus dem Produkt von abstrakt angemessener Wohnfläche und abstrakt angemessenem Quadratmeterpreis zuzüglich der angemessenen kalten Betriebskosten zusammen.
Für den Wohnungsstandard, der meist am Quadratmeterpreis gemessen wird, gibt es eine rechtlich verbindliche Untergrenze (zum Mindeststandard gehören Innentoilette, Bad in der Wohnung und Sammelheizung, natürlich muss die Wohnung trocken und frei von Schimmel sein u.ä.), eine Rechtsvorgabe für eine Mindestwohnfläche gibt es leider derzeit nicht. Wenn Wohnungen zum KdU-Richtwert ausreichend im Angebot sind, ist auch die Forderung erfüllt, dass die als angemessen beurteilten Wohnungen tatsächlich auch in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen müssen. (Die Verfügbarkeitskontrolle wird bei der Ermittlung der KdU-Angemessenheit häufig nicht gründlich genug oder gar nicht durchgeführt).
Helfen könnte hier nur eine Einzelfallprüfung, wenn der Betroffene glaubhaft machen kann, dass eine 30 m²-Wohnung in seinem Fall unzumutbar ist, z.B. weil er sich weiterbilden muss, um die Arbeitsstelle zu behalten und dafür Platz für Bücher u.a. braucht, oder weil er einen Teil seiner Arbeit zu Hause durchführen muss o.ä. Wer ein Umgangsrecht hat, hat ohnehin einen Rechtsanspruch auf zusätzliche Wohnfläche (statt des KdU-Richtwertes eines Einpersonenhaushaltes gilt dann der KdU-Richtwert eines Zweipersonenhaushaltes).
Führt die Einzelfallprüfung nicht zum Erfolg, hilft nur Öffentlichkeitsarbeit. Wenden Sie sich z.B. an die Fraktionen ihres Kreistages und an ihr Landratsamt mit ihrer Beschwerde: Die Richtwerte müssen im Kreistag oder im Sozialausschusses des Kreistages alle zwei Jahre beschlossen werden (In manchen kreisfreien Städten oder Landkreisen erledigt das nur die Verwaltung, die legt dann ihren Stadt- bzw. Kreisräten die neu ermittelten Angemessenheitswerte nur zur Information vor, der Stadtrat bzw. der Kreistag hat aber in jedem Fall das Kontrollrecht!). Der Stadtrat der kreisfreien Stadt bzw. der Kreistag (oder der beauftragte Sozialausschuss) kann eine Mindestquadratmeter-untergrenze beschließen. Allerdings hat das Bundessozialgericht 2014 für Dresden eine Wohnungsgröße von 26 m² als zumutbar gewertet mit der Begründung, dass es in Dresden eine große Anzahl dieser Wohnungen gäbe (B 4 AS 9/14 R vom 18.11.2014).
Dr. Dorothea Wolff
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