Christian Rother seine Rede zu den Delegierten des Stadtparteitags in Leipzig am 21. November 2015:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank, dass sie mir die Möglichkeit geben hier und heute zu ihnen zu sprechen. Das Thema bzw. die Problematik die ich ihnen hier heute vorstellen möchte, behandelt meinen Arbeitgeber Amazon. Das Unternehmen steht wie kein zweites für globales Handeln und neoliberales Wirtschaften. Wie das im Alltag im Einzelnen aussieht und was für Früchte treibt, das meine Damen und Herren möchte ich ihnen heute kurz skizzieren.
Anhand von Amazon lässt sich beispielhaft alles ablesen, was man am Kapitalismus kritisieren könnte. Zu nennen wäre hier zuerst ein unglaubliches Streben nach Profit. Bei Amazon macht sich das dadurch bemerkbar, dass man zwar schon Weltmarktführer im Versandhandel ist, aber in immer neue Geschäftsfelder vorstößt. Man nutzt die schon vorhandene Marktmacht aus, um Konkurrenten aus dem Geschäft zu drängen.
Seit kurzem habe ich das Privileg für ihre Zeitschrift ‚Links!‘ zu schreiben. Vielen Dank dafür an Marianne, die das ermöglicht hat. Dort wurde bereits ein Artikel von mir veröffentlicht, in dem ich versuche zu zeigen, wie die vorherrschende Stellung Amazons sich auf andere Unternehmen auswirkt und somit den gesamten Arbeitsmarkt nachhaltig beeinflusst. So handeln Unternehmen wie Karstadt oder die DHL ganz nach dem Vorbild Amazons, wenn sie sich plötzlich, wie Karstadt, als Logistiker sehen oder wie DHL, die Tochtergesellschaften gründen, nur um ihren Angestellten ein niedrigeres Gehalt zahlen zu können.
Beide Unternehmen reagieren damit nur auf den Druck, den sie von einem der größten Unternehmen weltweit zu spüren bekommen.
Für mich ist es jedes Mal frustrierend zu lesen, wenn in einem Zeitungsartikel steht „Amazon habe 11.000 Angestellte“. Die Zahl mag ja stimmen, wenn man sich den gesamten Konzern anschaut, wenn es allerdings um Fragen wie einen Gesamtbetriebsrat oder Aufsichtsrat geht, dann verweist man darauf, dass sämtliche Versandzentren in Deutschland eigenständige Unternehmen sind.
Hier klafft eine riesige Lücke im Gesetz. Ich als Gewerkschafter weise jedes Mal darauf hin. Es ist aber an der Politik und am Gesetzgeber, diese Lücke zu schließen. Dadurch werden aktiv Arbeitnehmerrechte untergraben. Das ist in höchstem Maße undemokratisch und unmoralisch sowieso.
Diese Lücke erlaubt es Unternehmen wie Amazon aber nicht nur einen Gesamtbetriebsrat oder Aufsichtsrat zu verhindern, sondern auch an unterschiedlichen Standorten, unterschiedliche Löhne zu zahlen. So wird am Standort Leipzig am wenigsten Stundenlohn gezahlt, an anderen Standorten bekommen die Angestellten teilweise über einen Euro mehr die Stunde gezahlt. Das sehen natürlich die Mitarbeiter und viele fühlen sich dadurch ungerecht behandelt. Diese Unzufriedenheit entlädt sich dann logischerweise in Streiks.
Aber nicht nur der Stundenlohn ist unterschiedlich, sondern auch die Zuschläge die gezahlt werden. So gibt es in Bad Hersfeld ganzjährig einen kleinen Spätschichtzuschlag ab 20 Uhr. In Leipzig soll es den ab kommendem Jahr auch geben, aber nur für die Samstag Spätschicht. Dafür fallen die Zuschläge für das kommende Weihnachtsgeschäft 2016 weg. Auf Nachfrage eines Kollegen, warum an denn nicht das Jahr über regelmäßige Spätschichtzulagen zahlt meinte ein Manager, dass das Kontingent dafür erschöpft sei. Schaut man sich den Umsatz des dritten Quartals 2015 von 25 Milliarden Dollar und einem Reingewinn von 79 Millionen Dollar an, so ist dies nur schwer nachvollziehbar.
Bisher konnten wir mit unseren Streiks zwar Teilerfolge in der Lohnpolitik erzielen, sind aber noch weit von dem entfernt, was wir uns vorstellen. Woran liegt das? Das liegt zu einem großen Teil daran, dass sich längst nicht alle Angestellte am Streik beteiligen. Das heißt aber nicht, dass diejenigen, die während des Streiks arbeiten, zufrieden sind. Es ist vielmehr so, dass es wohl eine Vielzahl an Gründen gibt nicht zu streiken. Auch dabei spielt Amazon wieder eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Amazon ist bekannt als Union-Buster, also ein Unternehmen, das verschiedene Strategien fährt, um Gewerkschaften zu zerschlagen. Nach Außen stellt sich das Unternehmen als Einheit dar und versucht das Bild zu vermitteln, das wir eine große Familie sind. In Wirklichkeit jedoch, werden die Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt. Die Frühschicht gegen die Spätschicht, Wareneingang/Inbound gegen Warenausgang/Outbound.
Die einzelnen Bereiche sind noch weiter unterteilt, auch diese werden gegeneinander ausgespielt. Zum Schluss bleibt der einzelne Mitarbeiter, der gegen alle anderen steht.
Wie macht Amazon das? Da wird beispielsweise Konkurrenz aufgebaut zwischen den Schichten bzw. den Abteilungen. Es wird dann gesagt, diese Abteilung war schneller und besser als ihr. Das kann nicht sein!
In- und Outbound spielt man gern durch die unterschiedlichen Schichtpläne gegeneinander aus. So muss im Inbound nur ein Samstag pro Monat in der Frühschicht gearbeitet werden, wohingegen im Outbound mindestens zwei Samstage, einmal Frühschicht, einmal Spätschicht gearbeitet werden muss. Es gibt aber auch Schichtmodelle, bei denen jeder Samstag gearbeitet werden muss. Diese Ungleichheit wird zwar von den Angestellten wahrgenommen, aber auch ganz geschickt von Amazon gelenkt. Denn anstatt, dass viele Outbound-Mitarbeiter eine Verbesserung ihres Schichtmodells fordern, fordern sie, dass Inbound-Mitarbeiter mehr Samstage arbeiten gehen sollen.
Die Teilung der Angestellten funktioniert aber auch visuell. So sollen Mitarbeiter, welche neu ins Unternehmen gekommen sind eine neongrüne Warnweste tragen, ältere Mitarbeiter tragen orange, höhere Angestellte wie Manager tragen hingegen eine grün-blaue Warnweste. Für ältere Mitarbeiter gibt es weitere Unterscheidungsmerkmale. So werden verschiedenfarbige Schlüsselbänder getragen, die eine besondere Funktion angeben, wie z.B. Co-Worker bzw. Instructor. Das sind jetzt alles keine schlimmen Dinge, soll aber zeigen, wie Amazon auf die Psyche seiner Angestellten einwirkt.
Wenn Amazon auf der einen Seite die Belegschaft spaltet, braucht es auf einer anderen Ebene doch etwas womit sich die Beschäftigten als Einheit verstehen. Das funktioniert über die Sprache, das sogenannte „Amazonisch“. Das ist ein Wirrwarr aus Deutsch und Englisch und funktioniert bei ganz alltäglichen Sachen. Ein Produkt ist nämlich nicht ‚kaputt‘, es ist ‚damage‘, wir benutzen auch keine Kisten sondern ‚Totes‘. Es ist wahrlich schrecklich dem zuzuhören. Dieses Amazonisch beherrschen alle Mitarbeiter, die auch nur länger als einen Monat dabei sind, auch solche die sonst kein Wort englisch sprechen. Dadurch gibt man einigen Leuten ein höheres Selbstwertgefühl. Man gaukelt ihnen vor etwas zu beherrschen, in diesem Fall die englische Sprache, was aber gar nicht der Wahrheit entspricht.
Über dieses Prinzip Divide et imperare, also Teile und Herrsche, könnte ich noch endlos weiter referieren. Ich werde das auch in meinen nächsten Artikeln näher beleuchten.
Aber ich möchte jetzt noch weitere Probleme beleuchten, die die Amazon Beschäftigten betreffen. Da ist zum einen das Thema Pause. Pause soll ja vor Allem der Erholung dienen. Bei so einem körperlich anstrengenden Job, wie dem unserem ist es daher um so wichtiger eine erholsame Pause zu haben. Der Arbeitsvertrag sieht insgesamt 45 Minuten Pause täglich vor. Diese teilt sich auf in eine 20 minütige Pause und eine 25 minütige. Aber um in die dafür vorgesehenen Pausenräume so gelangen benötigen wir 5 Minuten für eine Strecke, um wieder pünktlich am Arbeitsplatz zu sein, wieder 5 Minuten. Das heißt, dass wir 20 Minuten von unserer eigentlichen Pause nicht zur Erholung haben, sondern unterwegs sind. Für jemanden wie mich, der den ganzen Tag im Lager läuft, stellt das keinen Unterschied zu meiner Tätigkeit dar. Von Erholung kann keine Rede sein.
In meiner Frühstückspause beispielsweise komme ich kaum dazu richtig zu essen. Ich esse nun gern zwei Brötchen und trinke einen Kaffee. Während ich aber das zweite Brötchen noch nicht einmal zu Ende gegessen habe, muss ich schon wieder aufstehen, um mich auf den Weg zu machen, um wieder pünktlich unten in der Halle zu sein. Gesund kann das wohl kaum sein.
Diese Pausenproblematik zieht sich nun schon über Jahre hin. Da verhandelt der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung, sogar ein externer Vermittler der TU Dresden wurde beauftragt, sich dieser Problematik anzunehmen, bisher ohne Ergebnis.
Auch hieran sieht man wie ignorant die Geschäftsleitung den Problemen ihrer Angestellten gegenübersteht. Arbeiten an der Belastungsgrenze ‚Ja‘, Erholung ‚Nein‘. Man ist eben immer bestrebt noch mehr aus dem Einzelnen herauszuholen. So werden auch Mitarbeiter aufgefordert schon vor ihrem Schichtbeginn ihre Tätigkeit aufzunehmen. Sie sollen sich dann die Materialien besorgen, die sie für ihre Tätigkeit benötigen. In dieser Zeit werden sie aber nicht bezahlt.
Als mich mein zuständiger Manager dazu aufforderte, lehnte ich dies ab, mit der Begründung, dass ich schließlich nicht bezahlt würde und ich quasi noch Freizeit habe. Er entgegnete mir, dass dies hier aber zur Firmenkultur gehöre. Eine feine Firmenkultur ist das, arbeiten ohne bezahlt zu werden und ohne erholsame Pausen. Es reicht eben nicht, einfach nur auf Arbeit zu gehen um seinen Job zu machen. Bei Amazon musst du immer mehr bringen, du musst immer der beste sein. Ein angenehmes Arbeitsklima entsteht dadurch nicht und ein Miteinander der Belegschaft schon gar nicht.
Diese eben aufgeführten Punkte sind es, die ich meinte, als ich eingangs erwähnte, dass man Amazon als symbolhaftes Bild für den Kapitalismus nehmen kann. Da haben wir gnadenloses Konkurrenzdenken, das Verlangen aus Allem immer noch mehr herauszuholen, Verweigerung von Arbeitnehmerrechten, Union-Busting und das Ausnutzen und Aushebeln von Gesetzeslücken für den eigenen Vorteil.
Ein anderer sehr wichtiger Punkt sollte aber nicht unerwähnt bleiben, wenn es um unseren Arbeitskampf geht. Das ist die Rolle der Medien. Deren Berichterstattung ist etwas verwunderlich. Ich habe bisher drei Arten von Berichterstattung ausmachen können, wenn es um die Streiks bei Amazon geht. Da gibt es zum einen, nur die kurzen Randbemerkungen in der Zeitung „Amazon streikt“. Zum anderen gibt es Arbeitgebernahe Berichterstattung, die unsere Forderungen weitestgehend ausblenden und nur darstellen wie toll und innovativ Amazon ist. Die dritte Art der Berichterstattung bemüht sich um Neutralität, ist aber auch meistens nicht korrekt.
Ein Beispiel: In sehr vielen Zeitungsartikeln, egal ob Print- oder Onlinemedien, findet sich am Ende des Artikels ein Sitz wie „Verdi fordert eine Bezahlung nach dem Tarif des Einzel- und Versandhandels, Amazon hingegen sieht sich als Logistiker“. Das stimmt so nicht. Amazon sieht sich in Deutschland als Logistiker, weil hier die Löhne niedriger sind als im Einzel- und Versandhandel. In seinem Herkunftsland, den USA, ist Amazon nämlich dem Einzel- und Versandhandel zugeordnet. Auch in Italien ist man Händler. Dort ist es eben umgekehrt, die liegen die Löhne der Logistiker über denen der Händler. Ich versuche immer wieder darauf hinzuweisen, auf unserem Blog, in Interviews oder bei Gesprächen mit Kollegen, dass diese Debatte ob Handel oder Logistik nicht zielführend ist. Dennoch liest man immer wieder solche Sätze.
Es gibt noch andere Dinge die als Fakten in den Meldungen zu finden sind, aber so nicht stimmen. Mir wurde von Kollegen erzählt, ich konnte es bisher nicht nachprüfen, dass in der BILD-Zeitung vom gestrigen Freitag ein Artikel über Amazon zu finden war, worin behauptet wurde, dass wir ein Brutto-Monatsgehalt von 2200 Euro hätten. Das stimmt nicht. Wir haben ein Gehalt von etwas über 1900 Euro. Also entweder ist das schlechte journalistische Arbeit oder die Schreiberlinge wurden falsch informiert. Dieser Artikel fand sich merkwürdigerweise am Folgetag des Medientages bei Amazon in der Zeitung.
Sie sehen also, die Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, sind vielfältiger Natur. Um hier korrigierend einwirken zu können bedarf es gewerkschaftlicher Arbeit, aber auch politisches Handeln. Ich als Gewerkschafter versuche meinen Teil dazu beizutragen und diese Probleme aktiv im Betrieb oder durch Streiks anzugehen. Auf der anderen Seite erwarte ich aber auch, dass uns durch die Politik geholfen wird. Das erwarte ich eben auch und vor allem von der Partei ‚Die Linke‘. Wir brauchen euch dabei, dass ihr die Probleme öffentlich angeht, auf die wir als Gewerkschafter keinen direkten Einfluss haben.
Vielen Dank